die auseinandersetzung mit der dunkelheit

führt zu James Turrells Arbeit mit "Dark Spaces"(1). Beim Betreten eines Raumes herrscht völlige Dunkelheit. Bildreize, die man von aussen mitgebracht hat, halten noch eine Weile an, mit der Anpassung an die Dunkelheit verflüchtigen sich diese Bilder. Erst nach ein paar Minuten vermag das Auge das im Raum vorhandene Licht wahrzunehmen. Die meisten dieser Lichterscheinungen verflüchtigen sich, sobald man versucht, sie mit den Augen zu fixieren. Sie stellen sich aber wieder ein, sobald man den Blick frei gleiten lässt. Die Lichtmenge ist ausserordentlich gering gehalten, um die Schwelle zwischen dem äusseren Sehvermögen und dem inneren Sehen (dem imaginären Sehen, z.B. im Traum) ins Bewusstsein zu bringen. Erst nach etwa 10-minütiger Eingewöhnungszeit im Raum beginnt die eigentliche Arbeit, d.h. die Auseinandersetzung mit dem eigenen Sehen in der Dunkelheit.
Um diese Auseinandersetzung erlebbar zu machen, erstellt James Turell seinen begehbaren Installationsraum "Blind Sight". Blind sight bezieht sich auf einen Zustand, der hervorgerufen wird durch ein Trauma oder eine Disfunktion und bewirkt, dass Menschen mit Augenlicht tatsächlich nicht sehen können. Ausgangslage des Raums "Blind Sight" ist das Interesse Turrells am Sehen, das im Inneren stattfindet. Nach Turrell besitzt man im luziden Traum einen schärferen Sinn für Farbe und Luzidität als mit offenen Augen. Es findet ein inneres, imaginatives Sehen statt. Welches aber ist der Ort, wo das imaginative Sehen und das Sehen der Aussenwelt sich treffen, wo es schwierig ist, zwischen dem Sehen von innen und dem Sehen von aussen zu unterscheiden? Das Bild ist dabei nur insofern von Interesse, als es das Sehen von innen auslöst. Dieses Sehen findet am Rande des Zapfenbereichs der Netzhaut statt und bewegt sich in Richtung auf den Stäbchenbereich, der wiederum für das Sehen, über das man die völlige Kontrolle hat, verantwortlich ist.
Den Raum "Blind Sight" erreicht man über einen durch drei Windungen führenden, schwarz bemalten Korridor, dadurch wird jegliches Licht der Aussenwelt eliminiert. In dieser Dunkelheit wird ein durch Zufallsprinzip angeordnetes Nicht-Muster aus sehr schwachen Lichtpunkten projiziert. Betrachtet man diese, nachdem sich die Augen ca.10 Minuten an die Dunkelheit gewöhnt haben, scheinen sie zu verschwinden und nur einen flüchtigen peripheren Eindruck zu hinterlassen. Eine verblüffende Netzhautreizung stellt sich ein, ein Verwechseln des inneren, mentalen Lichts und des wahrgenommenen Lichts. In solchen Momenten sieht man sich dem Sehen des von uns selbst erzeugten Sehen konfrontiert. Dadurch setzen wir ein "sehendes Sehen" in Gang.


blind sight und lettentunnel – empfindungs-parallelen

Obwohl die Dunkelheit im Tunnel nicht so absolut ist wie in James Turrells "Blind Sight", sind dennoch Parallelen festzustellen. In beiden Räumen beginnen sich ob der Dunkel- und Dumpfheit die Sinne zu schärfen. Man versucht sich in der ungewohnten Dunkelheit zurechtzufinden. Der Tastsinn lässt einen am Anfang zögernd vorwärts gehen, das Gehör nimmt jedes Geräusch wahr. Die Augen streifen umher, versuchen den Raum zu erfassen, sie gewöhnen sich allmählich an die Dunkelheit. Immer wieder richten sie sich in die weiterführende Tiefe des Tunnels, die unendlich scheint. Was ist da? Ist dort etwas? Wie geht es weiter? Geht es weiter? Endet es irgenwo? Fragen, die unmittelbar entstehen. Mit der Tiefe des Tunnels nimmt die Dumpfheit zu, der Lärm der Aussenwelt verschwindet allmählich, Geräusche im Tunnel werden stark: die eigenen Schritte, das Rauschen des Baches, die Wassertropfen, die von der Decke fallen, rumpelnde Tramgeräusche lassen die Stadt vermuten, unter der man sich hier befindet. Der Hall ist dumpf, denn die Wände und der Boden schlucken die Geräusche, ein dichtes Gefühl der Dumpfheit umhüllt einen, das Licht ist diffus, wie die Wahrnehmungen - beinahe wie in einem Traum. Ein Traum, obwohl man wach ist? Ein Wachtraum mitten am Tag? Ein Tagtraum in der Dunkelheit des Tunnels? Ein Traumtunnel, der einen in einer dunklen Röhre von der äusseren Wahrnehmung mitten in die innere Welt führt? Man findet sich auf sich selbst zurückgeworfen, die Stille nimmt zu. Am Ende könnte man sich, ruhelos einen Ausweg aus dem eigenen Innern suchend, im stillen Dunkel verlieren. Vielleicht tritt Angst auf, eine Urangst, sich und die Realität zu verlieren. Vielleicht aber grenzt dieser Zustand an ein Erlebnis, das uns für einen Augenblick etwas Wesentliches zurückgewinnen lässt, aus dieser dunklen Stille und Dumpfheit, die sich der alltäglichen Welt entgegensetzt. Ein kleines Wunder? Unsicherheit entsteht, wir beginnen zu spekulieren, Vorstellungen und Empfindungen vermischen sich, wie das tatsächlich äusserlich Wahrgenommene und die Bilder, die in unserem Inneren entstehen. Ein still diffuser Zustand wie in "Blind Sight" von James Turrell.
Könnte der Traum (oder auch der Tagtraum) als ein mögliches Bild stehen für diese Verflechtung, diese Verwirrung oder Verwechslung von innerem Bild und äusserer Wahrnehmung?


trompe l’oeil und tagtraum

Manche Arbeiten von Peter Fischli + David Weiss(2) entspringen dieser Auseinandersetzung. Sie sind eine mögliche Antwort auf die entstandene Verwirrung, spielen mit der Welt der Illusionen, verwirren das Auge, gleich einem "Trompe l’oeil", einem kognitiven Jux, indem Dinge oder Satzfragmente nicht wirklich das sind, was sie auf den ersten Blick zu sein scheinen. In anderen Arbeiten verweilen die Künstler mit ihren Videoarbeiten in der Unschuldigkeit eines Tagtraums auf unspektakulären Gegenständen, von denen aus, sie uns die Freiheit einräumen, unseren Geist nach Lust und Laune schweifen zu lassen. Dabei verbringen die beiden Künstler einen grossen Teil damit, scheinbar Unsinniges zu tun, wie zum Beispiel bei den Betrachtenden einen Tagtraum auszulösen oder ihr Auge zu täuschen. Sie nehmen sich Zeit, sich allen möglichen Verwirrungen und Zerstreuungen hinzugeben und dies in einem beinahe kindlichen Zustand der Faszination, mit dem Ziel, den Geist des Staunens wieder zu erwecken.
Unser gehetztes Alltagsleben, bietet oft keinen Raum für etwas scheinbar Unsinniges wie einen Tagtraum oder für ein Staunen. Denn um in den Zustand des Staunens zu kommen, darf man eine Zeit lang nichts anderes mehr tun, als sich auf das Staunenauslösende einzulassen, dann löst sich die Zeit und alles um einen herum auf - wir staunen und sind diesem Zustand eine Zeit lang ausgeliefert. Das Staunen ist einem Traumzustand sehr ähnlich, unser Geist schweift ab aus der realen Moment. Wir sind uns selbst überlassen, unserem eigenen Staunen oder den eigenen Bildern eines Traums oder eben eines Tagtraums.
Die dunkle Dumpfheit, die man im Inneren des Lettentunnels empfindet, zieht einen schlagartig aus der Alltagswelt heraus. Ein einhüllendes, diffuses Gefühl entsteht, das an einen Traum/Tagtraum erinnert - das Hier-Sein und doch nicht ganz Hier-Sein lässt uns zwischen der Realität und einem Traum hin und her wandern. Die Zeitempfindung vverschwindet in der Dunkelheit. Man "ist" einfach in diesem Raum und überlässt man sich der eigenen inneren Verwirrung, kann man sich einlassen in eine Art Tagtraum.


der emotionale raum

Durch die Auseinandersetzung mit dem eigenen Inneren, in welches man durch die Dunkel- und Dumpfheit des Tunnelraums zwangsläufig zurückgeworfen wird, entsteht eine weitere Dimension des Raums. GianCarlo Testa spricht hier vom emotionalen Raum, der als eine Art 4. Dimension den Raum mitbestimmt, in dem sich jede/r Einzelne aufhält. Diese emotionale Dimension ist subjektiv und trotzdem genauso bestimmend für einen Raum, wie seine reale Höhe, Tiefe und Breite. Das Betreten eines Raumes löst bei der eintretenden Person Emotionen aus, schöne Erinnerungen, Ängste, Erinnerungen an Erlebnisse, die in irgendeinem Zusammenhang mit diesem Raum stehen. Vielleicht war der Raum in der Erinnerung ähnlich oder es roch ähnlich oder das Licht war ähnlich. Die Emotionen, die der Raum auslöst, welcher eben durch die Person betreten wird, entstehen blitzschnell und im ersten Moment unreflektiert. Sie beeinflussen deshalb den Raum wesentlich und machen ihn für jede/n einzelne/n zum Ort.
Der Lettentunnel löst als starker Raum bei jede(r)m von uns subjektiv Empfindungen aus. Wir bewegen uns in einem Emotionalen Raum, der aus den verschiedensten subjektiven Emotionen der im Raum Anwesenden besteht. Bildlich gesehen, ist so der eigentlich leere Tunnelraum bis oben hin gefüllt mit Emotionen, mit verschiedensten Erinnerungen, etc.
Jeder Raum hat mehr oder weniger stark eine emotionale Dimension, sobald sich eine Person in diesem Raum befindet. D.h. jeder Raum ruft mehr oder weniger starke Bilder in einem wach. Der Lettentunnel wirkt durch seine Dunkelheit, durch das unsichtbare Ende und durch die dumpfe Akkustik als stark beeinflussender Ort. Emotionen werden aufgerüttelt und das kann für die/den Einzelne(n) sehr unangenehm sein. Man kann sich also nicht ohne Weiteres dem diffusen Zustand hingeben, der durch die Emotionen im eigenen Inneren entsteht.
James Turrell, Peter Fischli +David Weiss, sprechen mit ihren künstlerischen Interventionen auf verschiedene Weise die Verwirrung der Betrachtenden an. Bei James Turrell ist der Raum, in dem sich seine Lichtinstallation befindet, welche diese traumartige Verwirrung zwischen inneren und äusseren Bildern wachruft, entscheidend. Bei Fischli+Weiss es ist der "künstlerische Gegenstand", sei es ein Objekt oder ein Film, das auslösende Element, das uns zum Staunen bringt oder unseren Geist schweifen lässt. Beide arbeiten mit der Ebene der eigenen inneren Auseinandersetzung - einer Art diffuser Verwirrung oder einem traumartigen Zustand, einem Zustand, der im Lettentnnel wachgerufen wird. Einem Zustand der, den von GianCarlo Testa definierten Emotionalen Raum in seiner Art verbildlicht.



(1) Peter Noever (Hsg.): James Turrell. The other horizon. Hatje Cantz Verlag, 2001. S. 126ff
(2) Kunstmuseum Wolfsburg und Walker Art Center, Minneapolis: Peter Fischli, David Weiss: Arbeiten im Dunkeln. Ausstellungskatalog. Cantz Verlag, 1997